Kniefall von Warschau – Neue Münzen
Fünfzig Jahre ist es her, dass Bundeskanzler Willy Brandt bei seinem Besuch in Warschau vor dem Mahnmal zum Gedenken an den jüdischen Ghetto-Aufstand von 1943 in die Knie gegangen ist. Das Jubiläum wird durch eine neue, von dem Berliner Münzdesigner und Stempelschneider Bodo Broschat gestaltete 2-Euro-Kursgedenkmünze gewürdigt. Brandt war mit einer Delegation nach Warschau zur Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen gereist, mit dem beide Staaten vor allem die Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze anerkannten, was allerdings nicht wenige Westdeutsche und vor allem Heimatvertriebene als Verrat an ihren Interessen und Gefühlen ansahen. Für Polen unterschrieb der Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz, ein Überlebender des Vernichtungslagers Auschwitz, das Abkommen.
Neue 2-Euro-Kursgedenkmünze erinnert an Willy Brandt
Am Denkmal für die Opfer des Aufstandes im Warschauer Ghetto war Willy Brandt nach dem Richten der Kranzschleife nicht nur, wie dies Politiker gewöhnlich bei Kranzniederlegungen tun, mit ernstem Blick stehen geblieben, sondern sank auf die Knie und verharrte so eine Weile schweigend und sichtlich ergriffen. Diese Geste der Demut und der Trauer überraschte nicht nur die deutsche Delegation und die polnischen Gastgeber, sondern auch die deutsche und die Weltöffentlichkeit. Sie wurde als Bitte um Vergebung für furchtbare Verbrechen der deutschen Besatzer am polnischen Volk verstanden, man hat sie aber auch als Symbol für die Ostpolitik und die Überwindung des Kalten Kriegs und der deutschen Teilung gewertet, für die der Sozialdemokrat 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Dargestellt ist auf der neuen Umlaufmünze der Moment, in dem der SPD-Politiker vor dem Ehrenmal den Kämpfern und Opfern des Aufstands, vom Gefühl der Ehrfurcht und Trauer ergriffen, seine Reverenz erweist. Die Bilder von dieser ungewöhnlich anrührenden Szene gingen um die Welt. Der Bundeskanzler sagte später, sein Kniefall sei eine spontane Geste gewesen. Er habe ein besonderes Zeichen setzen und die Polen für die ihnen von den Deutschen angetanen Verbrechen um Verzeihung bitten wollen. Fortan verpuffte in Polen weitgehend die Propaganda der Kommunisten, die mit antideutschen Ressentiments die Stationierung der Soldaten der Sowjetunion zu rechtfertigen suchten.
In der Ende 1966 von CDU/CSU und SPD gebildeten Bundesregierung mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger an der Spitze war Willy Brandt Außenminister und Vizekanzler. Diese Große Koalition leitete die Modernisierung der Bundesrepublik ein und versuchte auch eine Verbesserung der Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern und zur – nicht anerkannten – DDR. Im Ergebnis der Bundestagswahl am 21. Oktober 1969 wurde Brandt der erste sozialdemokratische Bundeskanzler. Die von ihm geführte Regierung aus SPD und FDP setzte nach dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ die von heftigen Auseinandersetzungen mit der „68er-Bewegung“ begleiteten inneren Reformen fort, trieb die Einigung Westeuropas voran und begann eine neue Ost- und Deutschlandpolitik. Von der CDU-CSU-Opposition heftig bekämpft, gewann Brandt 1972 zwar die vorgezogenen Neuwahlen, doch zwang eine Spionageaffäre um seinen vom DDR-Staatssicherheitsdienst eingeschleusten Referenten Günther Guillaume im Mai 1974 zu seinem vorzeitigen Rücktritt als Bundeskanzler. Der bisherige Finanzminister Helmut Schmidt (SPD) folgte ihm als Regierungschef. Vorsitzender der SPD?blieb Willy Brandt dagegen bis 1987.
Nicht alle Bewohner der Bundesrepublik Deutschland waren mit Brandts Demutsgeste in Warschau einverstanden. Bei einer Befragung bewertete fast die Hälfte der Westdeutschen – die DDR-Bewohner konnten nicht ihre Meinung sagen, die von der SED beherrschten Medien verschwiegen den Kniefall – den Kniefall als eine überflüssige Verbeugung vor dem kommunistisch beherrschten Polen, ja von interessierter Seite wurde der Sinn von Brandts Ostpolitik in Bausch und Bogen abgelehnt und einmal mehr die Forderung nach Rückgabe der nach 1945 von Deutschland abgetrennten Ostgebiete erhoben.
Willy Brandt schrieb in seinen 1989 erschienenen Erinnerungen, er sei immer gefragt worden, was es mit dieser Geste auf sich gehabt habe und ob sie geplant war.
„Nein, das war sie nicht. Meine engen Mitarbeiter waren nicht weniger überrascht als jene Reporter und Fotografen, die neben mir standen, und als jene, die der Szene ferngeblieben waren, weil sie ,Neues’ nicht erwarteten. […] Ich hatte nichts geplant, aber Schloss Wilanow, wo ich untergebracht war, in dem Gefühl verlassen, die Besonderheit des Gedenkens am Ghetto-Monument zum Ausdruck bringen zu müssen. Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“
TEXT: Helmut Caspar
Ostafrika 2021/2022
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