Praxistipp: Anfassen erlaubt!?
Weit verbreitet wird eine Botschaft, die wohl so manche abschreckt, die sich ganz allgemein für Briefmarken interessieren: „Niemals befingern!“ So empfiehlt ein Michel-Ratgeber: „Briefmarken soll man nicht unbedingt mit den Fingern anfassen. Deshalb verwendet man eine Pinzette, um keine unschönen Fingerabdrücke auf den Marken zu hinterlassen“.
Für manche Einsteiger bildet die – vielfach irreführende – Vorstellung, dass man Briefmarken nur mit der Hilfe von Pinzetten „anfassen“ darf, eine Hemmschwelle. Wir wollen zeigen, dass die Berührung mit den Fingern und Händen in vielen Fällen kein „Tabu“ ist, im Gegenteil sogar nützlich sein kann, solange man vorsichtig genug dabei vorgeht! Auch philatelistische Profis werden zugeben müssen, dass sie in manchen Fällen eine Handhabung gegenüber dem Hilfsmittel Pinzette bevorzugen.
Praxistipp 1
Die wichtigste Grundregel, die vor dem Hantieren mit Postwertzeichen, Briefen und Belegen gelegentlich vergessen wird: Immer vorher gründlich Hände waschen, um Fettspuren und Säureanteile der Transpiration zu entfernen (pH-neutrale Seife ohne Pflegesubstanzen). Und danach gut die Hände abtrocknen, mit einem frischen Handtuch, das wenig längere Fusseln abgeben sollte, besser aus Baumwolle statt Frottee-Mischungen. Auch an den Fingernägeln sollte keine Feuchtigkeit mehr sein. Es kann nicht schaden, ein Handtuch in Griffnähe zu behalten. Wer leicht zu feuchten Händen neigt, sollte sie bei längerwährenden Aktionen auch zwischendurch wiederholt waschen; nach etwa einer halben Stunde lässt die Wirkung der Seife nach.
Für das Arbeiten mit den Fingern spricht, dass man im wörtlichen Sinn ein „Gefühl“ für Briefmarken in den Fingerspitzen entwickeln kann. Unterschiedliche Länder und Perioden verwendeten diverse Papiersorten, die man erspüren und erleben kann – weich oder härter, dünner oder dicker. Bei Ausgaben im Stichtiefdruck und mit Prägedruck fühlt man die erhabenen Partien. Manche Manipulationen wie Hinterlegungen, ausgebügelte Knicke oder Nachgummierungen, selbst etliche Neudrucke und Fälschungen lassen sich schon durch den Vergleich von Hand erahnen.
Beim Sortieren und Zählen von größeren Stückzahlen kommt man mit den Fingern oft schneller voran. Auch das Einstecken und saubere Platzieren von Briefmarken, Kleinbogen, Blocks und Belegen in die unterschiedlichsten Formen und Systeme von Alben lässt sich in vielen Fällen besser mit Unterstützung von Hand bewerkstelligen. Das Zertrennen von Einheiten wäre mit Pinzetten kaum sinnvoll und sogar höchst riskant. Auch beim Ablösen von Briefmarken sind Pinzetten fehl am Platz.
Vorsicht ist zwar geboten, doch Briefmarken zerfallen nicht zu Staub, wenn sie mit den Fingern angefasst werden. Die meisten Stücke sind im Lauf ihrer Existenz ohnehin schon mehrfach geduldig durch verschiedene Hände gegangen.
Viele tragen bereits Spuren ihrer ersten postalischen Behandlung, die Qualität und Wert bestimmen. Sie wurden in der klassischen Periode mal mehr, oft weniger exakt mit Scheren aus den Bogen geschnitten, wobei eine Hand sie halten musste. Später wurden sie mit den Fingern aus gezähnten oder durchstochenen Bogen getrennt, wobei eilige und sorglose Handhabung, unterschiedliche Ausführung der Trennungsformen und Papiere negative Auswirkungen hervorgebracht haben – wie fehlende Zähne oder Ecken.
Praxistipp 2
Hin und wieder passierte es, dass ein Fingerabdruck oder mehrere solcher Spuren auf der gummierten Rückseite verblieben sind. Oft sind sie nur schwach zu erkennen, wenn man die Marke schräg gegen eine Lichtquelle hält. Bei leichten oberflächlichen Fingerabdrücken kann man versuchen, durch mehrfaches langsames Anhauchen mit dem feuchten Atem die Glanzschicht der Gummierung wieder zu glätten. Vorsicht und Geduld sind dabei nötig; zu oft darf man den Vorgang nicht wiederholen, um die Gummistruktur nicht zu verändern.
Praxistipp 3
Bei gestempelten Ausgaben oder Ungebrauchten ohne verbliebene Gummierung ist die Berührung und Sortierung von Hand in der Regel kein Problem. Zum näheren Betrachten ist es zu empfehlen, eine lose Marke nur an den Kanten gegenüberliegender Ränder oben und unten (beziehungsweise links/rechts) leicht zwischen Daumen und Zeigefinger oder Daumen und Mittelfinger zu halten. Die Spannung des Papiers ist bei den meisten Sorten ausreichend, ohne dass man dabei Druck auszuüben braucht.
Text: Michael Burzan
Weitere Teile dieser Serie finden Sie hier:
Teil 1: Anfassen erlaubt!?
Teil 2: Auf Spurensuche
Teil 3: FĂĽr Daktyloskopen
Teil 4: Als Signaturen
Leserbriefe
ISBN: 978-3-95402-267-0
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