Marke der Woche: Schöne Sklaven
Unsere aktuelle „Marke der Woche“ ist bereits seit rund fünf Wochen im Umlauf, doch das Thema ist es wert, nachträglich vorgestellt zu werden. Der Titel des Sondermarkenblocks lautet: „Das Volk der Roma in der rumänischen Malerei“. Hintergrund dieser vermeintlich pittoreksten Markenausgabe ist das nationale Gedenken der Aufhebung der Sklaverei in Rumänien zwischen 1843 und 1856. Der Zusammenhang ist einfach: So wie das Volk der Roma seit Menschengedenken Unterdrückung, Vertreibung oder gar der versuchten Ausrottung ausgesetzt war, so stellte es auch in Rumänien eine entrechtete Volksgruppe dar. Rund eine Viertelmillionen Roma-Sklaven können aus den historischen Quellen für das 19. Jahrhundert hergeleitet werden. Den Status von Rechtlosen hatten sie in ganz Europa für die längste Zeit inne. Zu fremd waren die Gebräuche der einwandernden Nomadengruppen, um in den von Intoleranz und Rassismus geprägten europäischen Gesellschaften anerkannt zu werden. Bis heute haben viele Sinti und Roma ihre für Außenstehende verschlossenen Gebräuche bewahrt. So wird etwa Rechtsprechung nach alter Sitte innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt. Auch gibt es zahlreiche Reinheitsvorschriften, die an frühe jüdische, christliche und islamische Gebräuche erinnern.
Dass die Verweigerung, andere in ihre Kultur einzuweihen, kein Selbstzweck ist, erschließt sich aus der leidvollen Geschichte. Insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus hat viel dazu beigetragen. Es ist allerdings nicht so, dass der Dialog verweigert würde, nur in die persönlichen Lebensbereiche lässt man sich nicht hineinschauen. Bereits 1978 wurde die NGO der Internationalen Roma Union (IRU) gegründet. In der Bundesrepublik kämpften Aktivisten durch die Jahrzehnte um die Anerkennung der Sinti und Roma als geschützte Minderheit. Erst 2012 ist dies – auf Landesebene – in Schleswig-Holstein gelungen. Prominenteste Vertreter der politischen Organisation der Roma waren auf internationaler Ebene der US-amerikanische Schauspieler Yul Brunner und in Deutschland die Familie der berühmten deutschen Schlagersängerin Marianne Rosenberg.
In Rumänien waren die Sklaven Besitz der Grundherren. Sie konnten verkauft oder getauscht werden. Die willkürliche Tötung eines Sklaven war hingegen nicht gestattet. Viele der so gefangenen Roma waren hochspezialisierte Handwerker und wurden zu beachtlichen Summen gehandelt. Jegliche Selbstbestimmung war ihnen jedoch genommen, selbst Eheschließungen oder die Kindesbetreuung wurden fremdbestimmt. Die Porträts des Sondermarkenblocks wirken vor diesem Hintergrund realitätsfern. Idealisierte Frauengestalten in prächtigen Gewändern und mit einer bukolischen Hintergrundgestaltung stimmen skeptisch. Ohne die Begeisterung für die Schönheit des Fremden herabwürdigen zu wollen – allein das ist besser als der Hass auf alles Fremde – muss man doch unwillkürlich an die fürchterlichen kolonialen Bilderwelten mit ihren „edlen Wilden“ denken. Stereotypisierung und das Verschließen der Augen vor der Realität hat stets großes Leid für die Objekte dieser Begeisterung bedeutet, denn Objekte erfahren keinen Respekt.
Vielleicht muss man aber dennoch würdigen, dass die rumänische Postverwaltung einen ersten Schritt hin zur Verarbeitung der historischen Vergangenheit gemacht hat. Die Sondermarken erschienen am 20. Februar 2014.
Osteuropa 2021/2022 (E15)
ISBN: 978-3-95402-365-3
Preis: 52,00 €
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