Marke der Woche: Flinke Flieger mit Hang zum Chauvinismus
Der Einfallsreichtum der Natur ist unerschöpflich. Wir kennen Vögel, die besser tauchen als fliegen können, Landsäugetiere, die besser fliegen als laufen können, wir kennen Insekten, die sich in hochkomplexen Staaten organisieren und Menschen, die alles wissen und doch nichts können. Unsere heutige „Marke der Woche“ erscheint am 7. Februar in den USA und ist einem bemerkenswerten kleinen Flugkünstler gewidmet: dem Kolibri. Während über die Bedeutung dieses Namens noch gerätselt wird, bringt es die spanische Bezeichnung auf den Punkt. „Picaflor“ bedeutet Blütenpicker. Sie picken zwar nicht im eigentlichen Sinne, vielmehr schlürfen und schlabbern sie im Inneren der Blumen herum, aber diese Erkenntnis ist noch jüngeren Datums. 1908 konnte man noch in der „Berliner Illustrierten Zeitung“ lesen, dass die kleinen Vögel nicht den im Grunde des Kelches ruhenden Honig begehrten, sondern dass sie die im Inneren der Pflanzen lebenden Insekten jagen würden. Zum Beweis dieser These führte man an, mit Honig ernährte gefangene Kolibris stürben innerhalb kürzester Zeit. Das ist zwar korrekt, liegt aber sicher nicht am Honig. Denn Honig ist, wie wir wissen, ein Produkt der Biene und folglich in keiner Blumenblüte zu finden. Nektar findet man dort schon. Doch der eigentliche Grund, dass Kolibris in Gefangenschaft sterben, ist dass sie nicht in Gefangenschaft leben können. Doch dieses Argument war sicherlich zu abstrakt, um von den Herren Wissenschaftlern ernstgenommen zu werden.
Sehr ernst nehmen allerding Bioniker den kleinen Kolibri. Denn das Erforschen der Natur ist eine gerngenutzte Quelle für die Entwicklung neuer Technologien. Man denke an das jüngst angekündigte Essgeschirr mit sogenannter „Lotus-Oberfläche“, die von eben jener Pflanze inspiriert wurde. Von der Nanostruktur ihrer Blätter perlt nämlich alles ab. Folglich visioniert man bereits Geschirr, das niemals abgewaschen werden muss. Das ist aber in etwa so ekelig wie die Küche einer Studenten-WG. Dort muss das Geschirr auch niemals abgewaschen werden, aber will man davon dann noch essen? Ich nicht… Aber zurück zum Vogel. Das Ultraleichtgewicht vermag aufgrund seiner besonders schwenkbaren Flügel im Flug zu verharren. Sogar rückwärts können Kolibris fliegen. Dabei ist die Frequenz der Flügelschläge rekordverdächtig und mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Man schätzt rund 80 Schläge pro Sekunde. Auch die Zunge ist auf Tempo konstruiert worden. Bis zu 200 Mal pro Minute schnellt das winzige Organ aus dem langen Schnabel und dringt in den Kelch ein. Nach wenigen Tropfen Nektar geht es weiter zur nächsten Blüte. Hochfrequenz bedeutet aber auch hohen Energiebedarf. Umso bemerkenswerter ist das kleine Tierchen in der Ausgewogenheit von Energiebedarf und Sättigung. Kolibris fressen eigentlich den ganzen Tag. Nachts, wenn sie ruhen, senken sie dann mitunter ihre Körpertemperatur massiv ab, um Energie zu sparen. Mit zwei Gramm Nektar können die Vögel übrigens bis zu 800 Kilometer weit fliegen. Wir erwarten, dass sich die Automobilindustrie daran ein Beispiel nimmt.
Blumen sind für Kolibris übrigens Privatbesitz, woraus sich zumindest ihre grundlegene politische Überzeugung ableiten lässt. Man hat herausgefunden, dass die Reviere, die die Männchen verteidigen, stets größer sind als ihr Nahrungsbedarf. Diese territoriale Vorratshaltung beruht auf dem Paarungsverhalten der kleinen Blumenpicker. Das paarungswillige Weibchen wird gewissermaßen in den Nektar-Garten eingeladen, kann sich sattschlabbern und wird anschließend geschwängert. Womit bewiesen wird, dass das Patriarchat auch im Tierreich das Instrument eher kleiner Geister ist. Funktioniert innerhalb eines geschlossenen Systems aber auch hier ganz gut. In Südamerika ist der Kolibri eine der erfolgreichsten Vogelarten. Dass etliche Gattungen von Aussterben bedroht sind, liegt fairerweise nicht an Vögel-Politik und -Praxis sondern am Menschen, der sie langsam ihres Lebensraums beraubt. In Kolumbien werden beispielsweise große Waldgebiete für den Kokaanbau brandgerodet. Diese Rauschpflanze wird anschließend in die USA exportiert, wo man dann das gefährliche weiße Pulver daraus herstellt, welches von dubiosen Geheimdiensten zur Finanzierung noch dubioserer Machenschaften verwendet wird, während die Abfallprodukte an einen berüchtigten Limonadenhersteller ausgeliefert werden. Die Welt ist schlecht. Aber das kann uns egal sein. Denn wenn wir genug Limonade trinken, erkranken wir sowieso an Prostatakrebs, womit das Patriarchat sich dann irgendwie selbst repariert. Zumindest langfristig. Nur schade um die hübschen Vögel. Daher flink eine Sondermarke herausgegeben, dann fällt das nicht so auf, denn die meisten abgebildeten Persönlichkeiten sind ja bekanntlich bereits tot. Bei einem Puls von über 400 ist das nun aber auch wirklich nicht verwunderlich. Liebe Kolibris, geht es doch ein bisschen langsamer an, hört auf die Weibchen materiell zu korrumpieren und gewöhnt Euch doch besser daran, Limonade zu trinken. Dann werdet Ihr vielleicht evolutionär noch ein bisschen erfolgreicher. Aber schafft Euch bloß keine Prostata an, OK?
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