Marke der Woche: Der Diktator brüllt

Bei seinen legendären Lesungen aus „Mein Kampf“ fragte der türkischstämmige Kabarettist Serdar Somuncu eingangs: „Darf man über Hitlers ,Mein Kampf‘ lachen?“ – „Nein. Aber man kann gar nicht anders…“ Das gilt für das Werk seiner Lesung ganz sicher. Das Problem bleibt jedoch, inwiefern man über einen Diktator guten Gewissens lachen kann, wenn sein Handeln unendliches Leid bewirkt hat. Den Bösen seines hohen Rosses zu berauben, kann nicht schaden und mag sogar im Sinne einer Katharsis hilfreich sein. Doch darf sein Handeln nicht der Lächerlichkeit preisgegeben werden, um die Opfer und ihre Angehörigen nicht zu verspotten. Für sie kann der verantwortliche Herrscher niemals lächerlich sein, so wie der persönliche Verlust von Würde, Gesundheit und geliebten Menschen es nicht sein kann. Diesen Gedanken vorab, wenden wir nun unseren Blick auf die heutige „Marken der Woche“.

Grimmiger Blick aus NordkoreaDiese erscheinen morgen, am 25. Juni, in Nord-Korea und tragen den kurzen und prägnanten Titel „Tage des gemeinsamen Kampfes gegen die USA 25. Juni bis 27. Juli“. In ihrer Griffigkeit selbsterklärend, handelt es sich natürlich um klassische Propaganda-Marken. Und wie bei jeder Propaganda ist der Aussagegehalt nicht in der Realität anzusiedeln, sondern muss in einer politischen, latent wahnhaften Sphäre verortet werden. Der Monat des Kampfes orientiert sich terminlich an Beginn und Ende des Koreakrieges – 25. Juni 1950 bis 27. Juli 1953. Dieser Krieg war gleichzeitig Bürgerkrieg und Stellvertreter-Konflikt. Zwei Regimes mit ihren Schutzmächten fochten sich einmal quer über die koreanische Halbinsel und wieder zurück. Die Bevölkerung erlebte in diesen drei Jahren unerträgliches Leid, Schätzungen gehen gegen vier Millionen getöteter Zivilisten. Vor diesem Hintergrund einen „gemeinsamen“ Kampf zu beschwören, ist grotesk. Gemeinsamkeiten gibt es sicherlich innerhalb der koreanischen Bevölkerung beider Landeshälften: Sie alle wollen leben, lieben, glücklich sein, und vermutlich hegen alle eine Abneigung gegen das Terrorregime des Nordens – mit Ausnahme derer, die unmittelbar davon profitieren. Kürzlich bewunderten wir eine andere Sondermarken-Ausgabe aus Pjöngjang: „Nordkoreanische Eulen“. Der erste Gedanke dazu war: „Wissen diese Eulen eigentlich, dass sie nordkoreanisch sind?“

Die Idee zu diesem „Kampfmonat“ ist schon ein bisschen älter. Und die Propaganda ist dies ebenfalls. Mehrfach waren im „Neuen Deutschland“ entsprechende Solidaritätsaufrufe zu lesen. Und wenn man im deutschen Bundesarchiv unter dem Zeichen DY 34/24611 die Beschlüsse des Freien deutschen Gewerkschaftsbundes sichtet, entdeckt man für die 15. Juli 1968 den Beschluß zum Thema „Solidaritätsveranstaltungen zum Kampftag des koreanischen Volkes“. Es existieren auch heute noch weltweit – wohlgemerkt kleine – Sympathisantengruppen, die sich der Propagierung der nordkoreanischen Ideologie verschrieben haben. Antiamerikanismus ist sicherlich auch heute noch ein starkes Zugpferd, um Aufmerksamkeit zu generieren. Zu sehr hat sich diese westliche Weltmacht in Elefantenmanier durch die Porzellanläden von Ethik und Moral gewälzt. Insofern ist reflexhafte Ablehnung nachvollziehbar. Wirklich überzeugend ist sie aber nur dann, wenn man es selbst besser macht.

Briefmarke des GrauensBetrachtet man nun die zweite Sondermarke, kommen einem allein vom Kunstverstand her Zweifel. Das Motiv ist roh und unkultiviert. Hier wird von einem übergroßen Soldaten mit dem Gewehrkolben auf einen kleinen Mann eingedroschen, der abwehrend die Hände hebt. Ikonografisch ist die Situation eindeutig: ein gewalttätiger, großer „Böser“ prügelten einen kleinen „Friedfertigen“. Moment mal! Das passt doch überhaupt nicht zum Motto der Marke. Andererseits soll vermutlich suggeriert werden, dass Nordkorea stark genug ist, einen imperialistischen Wicht zu verhauen, aber irgendwie belegt das eigentlich nur die kollossale Fehl- und Selbstübereinschätzung der federführenden Propagandisten. Und dass die Amerikaner eher winzig und hager sind, die Koreaner hingegen groß und massig, das widerspricht sowohl den Einschätzungen der WHO als auch den Fakten zur Versorgung der Bevölkerung des jeweiligen Landes. Die Augen des Schlägers sehen jedenfalls ein bisschen hungrig aus. Vielleicht will er den kleinen Amerikaner aufessen? Das würde einiges erklären… Wäre die ganze Geschichte nicht so traurig, müsste man dieses wirre Machwerk eigentlich als Realsatire abtun. Aber wie eingangs festgestellt: Mag der Diktator auch ein Witz sein, seine Taten sind bittere Realität.


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Authored by: Jan Sperhake

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