Marke der Woche: Kunst und Qual
Der menschliche Geist denkt oft in Bildern. Sie helfen uns, komplexe Sachverhalte einzuordnen, Informationen zusammenzufassen und die Welt um uns herum zu strukturieren. Manchmal weicht die Realität von der vorgenommenen Einordnung ab, dann aber gibt es auch die Fälle, in denen das Bild exakt den Sachverhalt umschreibt, dieser lediglich in der Intensität unsere Vorstellung übertrifft. Es gibt das Bild des „brotlosen Künstlers“ und der Künstler, den unsere heutige Marke der Woche ehrt, dürfte dieses harte Schicksal wie kaum ein anderer erlitten haben.
Der heute hoch gehandelte Maler Chaim Soutine wurde 1893 als zehntes von elf Kindern eines jüdischen Flickschneiders in Smilyvichy bei Minsk geboren. Seine Kindheit war von extremer Armut geprägt, doch zeigte das Kind bereits früh ein ausgeprägtes Talent und eine Leidenschaft für die Malerei. Allerdings wurde in seiner Gemeinde das mosaische Bilderverbot streng eingehalten, sodass dem jungen Chaim seine künstlerischen Versuche oft mit Züchtigungen durch seine Familie vergolten wurden. Ein anderes Mal, so ist überliefert, wurde Soutine von Gemeindemitgliedern „ob seines gottlosen Tuns“ zusammengeschlagen. Die sonst eher als kalt und verschlossen dargestellte Mutter zog daraufhin vor Gericht und handelte für ihren Sohn eine Entschädigung aus. Mit diesen 25 Rubeln ging der junge Mann nach Minsk, um im weltoffeneren Umfeld der großen Stadt eine künstlerische Ausbildung zu erhalten. Ein Jahr später ging der talentierte junge Mann nach Wilnius, wo er das Studium an der Kunstakademie erfolgreich abschloss und sich genug Geld zusammensparte, um sich eine Fahrkarte nach Paris zu leisten, wo er im Juli 1913 eintraf.
Die frühe Pariser Zeit erfüllte nun alle Vorstellungen des im Nichts vegetierenden Künstlers. Er lebte und arbeitete im „La Ruche“, einem baufälligen, von zahlreichen Künstlern okkupierten Bau, er hungerte und fror und arbeitete doch beständig weiter. Allerdings zahlte er einen hohen Preis, denn seine körperliche und geistige Gesundheit wurde sehr in Mitleidenschaft gezogen. Um sich am Leben zu erhalten, übernahm Soutine gelegentlich noch Hilfsarbeiten bei der Bahn oder als Grabenbauer. Dank der Freundschaft zum Künstlerkollegen Amedeo Modigliani sollte diese Zeit des Leidens jedoch nach zehn Jahren endlich ein Ende finden. Modigliani nämlich hatte in den Kunsthändler Leopol Zborowski einen Mäzen und Förderer und stellte diesem auch Soutine vor. Beide sollten davon finanziell profitieren. Bereits 1918 bewegte Zborowski den Künstler dazu, in die Provinz zu gehen. Dort konnte er ihn mit geringerem finanziellem Aufwand versorgen und Soutine gewann viele neue Eindrücke, die sich in seinem Werk niederschlugen. 1923 sollte schließlich ein wohlhabender amerikanischer Sammler einen großen Posten von Soutines Bildern erstehen und damit dem Künstler eine gesicherte Zukunft bescheren. Doch das Glück sollte nicht von Dauer sein. Mit dem Einmarsch der Deutschen sah sich der registrierte Jude gezwungen, häufig seinen Wohnsitz zu wechseln und sich später gänzlich im Verborgenen zu halten. Das Leben auf der Flucht ließ alte Armutsleiden wieder ausbrechen und die Schwierigkeiten, sich in vertrauensvolle medizinische Behandlung zu begeben, führten letztendlich zum tragischen Tod des hoffungsvollen Künstlers. 1943 starb Soutine nach einem Magendurchbruch während einer zu spät durchgeführten Operation.
Seine Bilder erzielen heute Millionenpreise und sein Stil zeugt anschaulich von den Qualen, die er erlitten hatte. Doch sein Hunger nach Farbe und Ausdruck halfen ihm durchzuhalten. Leider sind viele Werke aus seiner schlimmsten Zeit heute verloren. Soutine hatte noch zu Lebzeiten versucht, Frühwerke zurückzuerhalten und zu vernichten. Damit gibt es Lücken im Lebenswerk des Künstlers. Doch was geblieben ist, beeindruckt bis heute. Die abgebildete Sondermarke Frankreichs mit dem Motiv „Landschaft“ erscheint am 25. Januar.
Leserbriefe
ISBN: 978-3-95402-267-0
Preis: 29,80 €
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